Entstehung und Entwicklung
des Sander Lippesees
Der durch Kiesabgrabungen entstandene Lippesee hat mittlerweile eine Größe von rund 90 ha und wird nach dem Abbauende fast 100 ha groß sein.
Vor Beginn der Kiesabgrabungen zwischen Schloß Neuhaus und Sande war die Auenlandschaft beidseits der Lippe durch Grünlandnutzung geprägt. Im Zuge der regen Bautätigkeit der 60er Jahre wurden jedoch Sand und Kies benötigt. Diese Bodenschätze befanden sich vorwiegend im oberen Lippetal.
Der Lippesee ist die größte Kiesabgrabung in der oberen Lippeaue. Auf einer Länge von fast 2 km ist der frühere Lippeverlauf mit abgegraben worden. Im Auslaufbereich hält eine Staumauer den Seespiegel.
Viele Jahre floss die Lippe durch den See. Mitte der 80er Jahre wurde jedoch offenkundig, dass sich die Lippe unterhalb von Sande verändert hatte. Aus dem klaren und sommerkühlen Fluss, der sich nur bei Hochwasser eintrübte, war ein meistens trübes Gewässer geworden. Ursache dieses schlechten Zustandes war der Lippesee. Die Lippe floss in den Abgrabungssee, erwärmte sich bei der Seepassage und wurde mit Stillgewässer-Plankton und Schwebstoffen aus der Produktion des Lippesees stark angereichert. Der See stellte für den Fluss einen drastischen Einschnitt und eine Ausbreitungsbarriere dar. Während oberhalb des Sees die Charakterarten Bachforelle, Äsche und Koppe über kiesigem Bodensubstrat die häufigsten Fischarten waren, besiedelte unterhalb des Lippesees der weniger anspruchsvolle Aal das Lückensystem zwischen den Schotterpackungen der Flussböschungen in hohen Bestandsdichten.
Der Lippesee hatte als Sedimentfalle entscheidenden Einfluss auf den Transport von Sand und Kies sowie die Gewässergestalt der Lippe. Da alles Sediment im See aufgefangen wurde, fehlten unterhalb Kiese und Sande.
Der Sedimententzug, die massiven Planktonausschwemmungen aus dem See und der Anstieg der Gewässertemperatur im Sommer verursachten in der Lippe unterhalb des Sees eine Verschlechterung der Gewässerstrukturen, der Gewässergüte und eine negative Entwicklung der Gewässerorganismen.
Aber auch der See wurde ungünstig beeinflusst: Durch die Lippe wurden viele Nährstoffe und Müll in den See geschwemmt.
All diese Befunde zeigten deutlich, dass eine Abtrennung des Lippeverlaufes vom Sander Lippesee aus ökologischer Sicht für die Entwicklung des Flusses und des Sees unumgänglich war.
Nach fünfjähriger Bauzeit wurde im März 2005 die Umflut um den Lippesee in Betrieb genommen. Die Lippe fließt nun in einer künstlich geschaffenen Ersatzaue am See vorbei. Bereits wenige Wochen nach der Inbetriebnahme der Umflut hatten flussaufwärts des Sees vorkommende Fischarten den neuen Flussabschnitt besiedelt. Für Bachforellen, Äschen, Koppen und Elritzen stellt die Umflut eine regelrechte Kinderstube dar. Unzählige Jungfische wachsen im Bereich der überströmten Kiesbänke heran. Bis zu 70 cm große Barben sind aus der unteren Lippe in die Umflut aufgestiegen und nutzen hier die guten Nahrungsbedingungen.
Ein Jahr nach Inbetriebnahme der Umflut waren bereits über 10.000 cbm Kiese und Sande durch die eigendynamische Entwicklung der neuen Lippe umgelagert worden. Der Fluss hat seine Form selbst gestaltet: Die Profile sind flach und vielgestaltig geworden. Unterspülungen und Vertiefungen sind entstanden. Die Lippe hat es sich in ihrem neuen Bett richtig gemütlich gemacht! Auch unterhalb des Sees sorgen die transportierten Feststoffe für eine Verbesserung der Gewässerstrukturen. Das Lippewasser ist unterhalb des Lippesees nicht mehr grüngelblich trüb von den Planktonmassen aus dem See. Der Fluss ist vielmehr klar, kalt und sauerstoffreich. An vielen Stellen kann man wieder den Grund des Flusses sehen. Diese Verbesserungen sind über viele Kilometer spürbar.
Auch der Lippesee hat von der Maßnahme profitiert, die Seewasserqualität hat sich entscheidend verbessert: Müll, Treibholz und Nährstoffe gelangen nicht mehr über den Fluss in den See. Schon im Juni 2005 war aufgrund der fehlenden Nährstoffeinträge der Lippe die Sichttiefe im See mit durchschnittlich 2,28 m doppelt so groß wie im Vergleichzeitraum der Vorjahre, was die Attraktivität für wassergebundene Sportarten am Lippesee erhöht.
Verlierer waren allerdings viele überwinternde Wasservögel. Während andere Stillgewässer in harten Wintern bereits von einer dicken Eisschicht bedeckt waren, konnten früher immer noch viele Enten, Gänse, Schwäne und Möwen am Lippesee Sicherheit und Nahrung auf der freien Wasserfläche finden. Jetzt friert der See bei starkem Frost zu. Die Wasservögel müssen dann auf die Lippe selbst und andere offene Gewässer ausweichen.
Eine Veränderung der Hochwassersituation gibt es durch die Lippeseeumflut nicht. Wie bisher fließen die Hochwasserspitzen in den Lippesee und über das Auslaufbauwerk wieder in die Lippe.